Der Bau der Bahnstrecke Augsburg-Ulm (1851-1854) und der begleitende wirtschaftliche Umbruch in unserem Raum

Nach der Eröffnung der legendären Eisenbahnlinie von Nürnberg nach Fürth im Dezember 1835 waren bis 1843 schon über 1000 km Bahnstrecke im Bereich des Deutschen Bundes ausgebaut. In Bayern begann 1843 das Großprojekt Ludwig-Süd-Nord-Bahn, die von Hof über Bamberg-Nürnberg-Oettingen-Donauwörth-Augsburg-Kaufbeuren-Kempten nach Lindau führte. Die 556 km lange Strecke durch ganz Bayern war am 1. März 1854 fertig gestellt. Im Rahmen der Bayerischen Maximiliansbahn, von Salzburg über München-Augsburg-Günzburg bis zur Donaubrücke nach Ulm, kam daas Dampfross in unsere Heimat. Der 85 km lange Abschnitt von Augsburg nach Ulm wurde 1851 in Angriff genommen. Besondere technische Probleme bereitete die Streckenführung über den Anstieg zwischen Zusamtal und Mindeltal bei Gabelbach/Gabelbachergreut. Die Arbeitsbedingungen beim Streckenbau waren bei schwierigen Bodenverhältnissen, Schlechtwetter und Schnee schwer und gefährlich. Der Günzburger Chronist Ignaz Reinert teilte 1852 mit: „Es ist traurig, daß dieses Unternehmen und dieser Bau nur allein schon in unserer Nähe einigen Menschen ihr Leben kostete und andere zu Krüppeln verstümmelt wurden, und das innere Spital immer mit erkrankten und schwer beschädigten Arbeitern angefüllt war.“  Zum Beginn des Fahrbetriebes am 26. September 1853 waren lediglich die Abschnitte Augsburg-Dinkelscherben und Burgau - Neu-Ulm fertiggestellt, auch die Donaubrücke nach Ulm war noch im Bau. Die Fahrgäste wurden vorläufig mit pferdebespannten Eilwagen von Dinkelscherben zur Burgauer Station gefahren. Das heutige Burgauer Bahnhofgebäude wurde erst 1868 erbaut (inzwischen privat veräußert).

 
Burgauer Bahnhofgebäude (Private Nutzung)

Am 1. Mai 1854 waren die Baulücken bis Ulm geschlossen. Unter Jubel und teils skeptischen Blicken von Zeitgenossen fuhr der erste durchgehende Dampfzug von Augsburg bis Ulm, wo ein „Bayerischer Bahnhof“ mit Lockschuppen eingerichtet wurde. Am 1. Juni begann der durchgehende Schienenverkehr München- Ulm. Im Günzburger Wochenblatt vom 27. Juli 1855 sind die Abfahrten der 3 Züge vom Günzburger Bahnhof verzeichnet, die täglich in beide Richtungen gingen:  Nach Augsburg um 5.26 früh und 12.26 ein Güterzug, um 7.24 abends ein Eilzug; Richtung Ulm ein Eilzug um 10.42, nachmittags um 4.17 und abends um 7.29 Güterzüge. Die Eilzüge beförderten Passagiere in Klasse I und II-Wagen. An die Güterzüge waren Klasse II und III-Wagen für Fahrgäste mit angehängt. Güterzugreisende hatten sich ½ Stunde vor der Abfahrt am Bahnhof einzufinden. Das Bild mit der 1851 fertiggestellten Illerbrücke in Kempten zeigt einen solchen gemischten Zug.
 

Illerbrücke in Kempten mit einem gemischten Zug

Nach der Literatur soll täglich ein vierter Zug (Eilzug) in beiden Richtungen die Strecke München-Ulm befahren haben, eventuell hat er in Günzburg nicht gehalten(siehe auch Anm. iii).  Die Bahnlinie Augsburg-Ulm war unabdingbar für den wirtschaftlichen Aufschwung und die Industrialisierung Mittelschwabens. Vom Chronisten Ignaz Reinert und vielen Zeitgenossen wurde sie allerdings mit Skepsis und großer Zurückhaltung betrachtet. Dies nicht nur wegen unguter Gefühle gegenüber Neuerungen oder Angst  vor dem dampfenden Ungetüm,  sondern wegen begleitenden gravierenden wirtschaftlichen Umbrüchen.
Die Strecke Augsburg-Ulm (heute Bundesstraße 10) lag auf einer europäischen Hauptmagistrale (Wien-Paris) mit hohem Aufkommen von Personen-, Güter- und Postverkehr. Alles wurde mit Kutschen, Packwagen und Eilwagen mit Pferdebespannung befördert. Der 9sitzige Augsburger Eilwagen benötigte für die 85 km nach Ulm 7 Stunden,  die Güter/Personenzüge dann etwas über 3, Eilzüge gut 2 Stunden. Stafettenreiter brachten früher dringende Nachrichten, die Briefpost fuhr täglich mit Einspännern. Hochgestellte und illustre Gäste reisten durch Burgau und Günzburg. Ignaz Reinert nennt im Mai 1846 den König von Württemberg, im September 1851 König Ludwig, 1852 König Maximilian und zwei russische Prinzen mit großem Gefolge. Im Jahr nach der Kaiserkrönung Napoleons (2. Dez.  1804) war der persische Gesandte Asher Chan mit großer Entourage auf der Durchreise nach Paris und kampierte in Günzburg im Freien.

 

Städte wie Burgau und Günzburg hatten Einnahmen durch Weg- und Pflasterzoll, Brauereiwirtschaften und Gasthöfe mit Herbergen florierten. Sattler beseitigten Schäden an Pferdegeschirr und Lederzeug, Schmiede und Wagner reparierten gebrochene Achsen und Räder. Bauern verdienten am Futterverkauf für die vielen Pferde, Knechte betreuten in größeren Städten die Ställe für den Pferdewechsel für Eilwagen und Stafettenreiter. In Günzburg gab es ca. 20 Gasthäuser mit eigener Brauerei, fast alle um den Marktplatz. Im Burgauer Hausnummernverzeichnis von 1826/27 sind 10 Brauereien verzeichnet.  Nach dem Stadttor links waren in der ersten Hälfte des 19. Jh. mit der Krone (heute Miller am Tor), dem Goldenen Adler (Mädchenschule) und dem danebenliegenden Schwarzen Ochsen drei große Wirtschaften  auf engstem Raum. All diese Geschäfte brachen mit dem Ende des Durchgangsverkehrs wegen der neuen Eisenbahn ab 1854 massiv ein. Kutscher, Postillione, Nachrichtenreiter etc. verloren ihre Arbeit. Die Burgauer Posthalterin Carolina Renz besorgte die Fahrverbindung zum Burgauer Bahnhof für ca. 400 fl. im Jahr (inklusive Trinkgeld für den Postillion und die Haferteuerungszulage).  Da die Burgauer Bebauung damals ca. 150 m nach dem Spitalberg Richtung Bahnstation endete, lag diese näher bei Röfingen als am Stadtbereich. Die Schifffahrt auf der Donau von Ulm nach Wien hatte bereits mit der Eingliederung der vorderösterreichischen Markgrafschaft Burgau nach Bayern ab 1806 an Bedeutung verloren. Trotz Einführung einzelner Dampfboote ab ca. 1843 kam der Schiffsverkehr inclusive Holztransport auf der Donau durch die Bahnkonkurrenz weitgehend zum Erliegen. Hart für die Bevölkerung in Burgau und Günzburg war die Verteuerung des ansonsten stets günstigen Brennstoffes Torf, insbesondere im langdauernden strengen Winter 1853/54. Die Bahn befeuerte ihre Dampfloks längere Zeit damit und kaufte erhebliche lokale Kontingente auf. In Burgau wurden zwei der ehemals mit traditionsreichsten Gasthäuser am Kirchplatz, die baulich nicht mehr in gutem Zustand waren, im Jahr 1856 von der Stadt aufgekauft. Der „Goldene Adler“, das damals größte profane Gebäude der Stadt, wurde zur Schranne und  Mädchenschule umgebaut. Der nur durch eine Feuergasse davon getrennte „Schwarze Ochse“, den der Landsknechtführer Sebastian Schertlin  bereits am 10. Mai 1532 erwähnt hatte , wurde von der Stadt 1857 zum Abbruch verkauft.  So entstand der freie Platz zwischen Schranne/Mädchenschule und dem heutigen Modehaus Moser.
Nach wenigen Jahren waren die oben genannten  Verwerfungen durch die enormen wirtschaftlichen Vorteile und auch Reisemöglichkeiten mit der Bahn mehr als kompensiert. Das Eisenbahnnetz verband inzwischen alle Regionen im ganzen Deutschen Bund. Es wurde schlechthin zur Basis für die Industrialisierung und den Ausbau von weitreichenden  Wirtschafts- und Handelsbeziehungen. Ulm hatte  als Eisenbahnknotenpunkt seine Warenausfuhr von 1852 bis 1855 z. B. verdoppelt. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde zum Goldenen Zeitalter der Eisenbahn.
 

 

 

[1] Karl Weichenmeier: Günzburg und sein Chronist Ignaz Reinert (1777-1858), in: Heimatkundliche Schriftenreihe des Historischen Vereins Günzburg e. V., Band 22, Günzburg 1998, S. 95-104. Geradezu mörderisch waren die Arbeitsbedingungen beim Bau des damals weltweit größten Rentershofener Bahndammes bei Röthenbach im Allgäu. Die Aufschüttung des 901 m langen und 53 m hohen Bahndammes mit einer Sohlenbreite von 260 m zwischen 1847-1853 kostete 44 Arbeitern das Leben.
[2] Selbst die renommierte medizinische Zeitschrift „Lancet“ befürchtete im Jahr 1862 durch  die Geschwindigkeit und den schnellen Wechsel der Eindrücke beim Bahnfahren gesundheitliche Schäden.
[3] Beschriftung auf koloriertem Kupferstich von 1850 mit Darstellung diverser Kutschen/Transportwagen von C. Scheiffele /Ulm, ehemaliger Thurn und Taxis- Postillion; siehe Bild, Kupferstich in Eigenbesitz.                             Die Fahrzeiten der Züge sind aus den Fahrzeiten Ulm -München herausgerechnet, aus:  Geschichte der Planung und Inbetriebnahme des Ulmer Hauptbahnhofs ab 1850 bis 1866…, Teil II (über Google abrufbar).
[4] Hausnummernverzeichnis von 1826/27 zum vom Bayerischen Staat 1825 neu herausgegebenen Burgauer Stadtplan, Stadtarchiv Burgau.
[5] Josef Bogner, Fridolin März: Die Geschichte der Post in Burgau, in: Historisches Burgau, hg. Historischer Verein Stadt und Land e. V., Burgau 2014, S. 42f.
[6] Ottmar F. H. Schönhuth, Leben und Thaten des Herrn Sebastian Schertlin von Burtenbach, nach der eigenen Handschrift des Ritters, Münster 1858, S. 10 (Schertlin schließt einen Vorvertrag zum Kauf von Burtenbach im „Schwarzen Ochsen“ 1532 am „am nechsten Tag nach vffart Cristi“ ab).
[7] Irmgard Gruber-Egle: Schule einst und heute, VI. Teil, in: Burgau aktuell, Nr. 120, Oktober 2020.

 

Literatur:       
Wolfgang Klee: Eisenbahn Journal, Bayern Report Nr. 1, Bayerische Eisenbahngeschichte  Teil 1: 1835-1875, Fürstenfeldbruck 1993.

 

Die Bilder vom  Burgauer Bahnhof und der Darstellung des ehemaligem Wagen- und Pferdeverkehrs  auf der heutigen B 10 sind vom Autor gefertigt. Bild mit der 1851 fertiggestellten Illerbrücke und Zug aus der Sammlung Schmidt/Kempten.

 

Dr. Philipp Jedelhauser                                                                                                      
Historischer Verein Burgau Stadt und Land e. V.
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