Nöte von Burgauer Kleinhandwerk mit Nebenerwerbslandwirtschaft im 19.—20. Jh. (erste Hälfte) am Beispiel von drei Bäckereien
Nach dem Übergang der Vorderösterreichischen Markgrafschaft Burgau an Bayern zum 1 Januar 1806 wurde von Burgau 1825 ein exakt vermessener Stadtplan gefertigt. 1826/27 wurde zu den Hausnummern 1-407 eine Liste mit den jeweiligen Haushaltsvorständen beziehungsweise Einzelpersonen mit Berufen angelegt. Im letzten „Burgau aktuell“ wurde die häufigste Wirtschaftsweise mit Kleingewerbe und Nebenerwerbslandwirtschaft vorwiegend zum eigenen Bedarf beschrieben, die bis ins 20. Jahrhundert hinein reichte. Die für 2100 Einwohner teils vielen Betriebe in einzelnen Branchen, z.B. 10 Brauereien, 8 Metzger, 17 Schuster und 12 Bäckereien weisen auf Kleingewerbe hin, das beim damaligen Kinderreichtum wenig finanzielle Reserven für unvorhergesehene Ereignisse oder Notfälle hatte. Die erste, mit heutigen Betrieben vergleichbare Bäckerei/Konditorei, hat erst im Jahr 1906 der „Pariser Bäck“ an der Ecke Tellerstraße/Käppelestraße gebaut.
An 3 Bäckereien soll die Problematik des oben angeführten Kleinhandwerks aufgezeigt werden: Das Brot wurde noch teilweise in „Lohnarbeit“ gebacken: die Nebenerwerbslandwirte brachten von der Mühle ihre Mehlsäcke zum Bäcker, für jedes Brot wurde von deren Gewicht ein Anteil abgezogen und lediglich für Zubereitung und Backen ein Betrag verrechnet, ein Pfenniggeschäft. In manchen Bäckereien hielt sich dieser Brauch noch bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts, mit der „Mehlabzugsliste“ unter dem Ladentisch für die noch wenigen Landwirte. Eine vernünftige Kapitaldecke konnte damit im 19. Jahrhundert kaum aufgebaut werden und unvorhergesehene Belastungen durften auf die Familien nicht zukommen.
Im Haus 370 in der Teller-Gasse (heute Hausnr. 18) war 160 Jahre lang der Laibles-Bäck. Der Hausname ist weder auf Brotlaibe noch auf Weihnachts-Laible zurückzuführen: im Einwohnerverzeichnis der Stadt Burgau von 1826/27 ist unter der Hausnummer 370 ein Bäcker mit Familiennamen Laible verzeichnet. Dessen Nachkommen gerieten aus nicht eindeutig bekannten Gründen Ende des 19. Jahrhunderts in zunehmende Verschuldung. Das Bankwesen für Handwerker, Landwirte und sonstige Kleinschuldner, wie z.B. Genossenschaftsbanken entwickelte sich damals erst. Bei finanziellen Problemen borgte man sich gerne Geld bei der Verwandtschaft, soweit die welches hatte, oder wandte sich häufiger an wohlhabende Juden, die das Kreditgeschäft betrieben. Zur Jahrhundertwende (um 1900) hatten sich die Laibles beim jüdischen Kaufmann Regensburger aus Ichenhausen völlig überschuldet, so dass ihr Grundstück Teller-Gasse 370 „auf die Gant“ kam. Dieser damals noch öfters verwendende Begriff beschreibt eine Überschuldung mit folgendem Notverkauf oder Versteigerung der beliehenen Sache.
Beim Verkauf des Grundstücks an die „Pfarrhofbäck“-Tochter Karolina Kleber und ihren Verlobten am 15. April 1903, unterschrieb den Vertrag beim Burgauer Notar Heinrich Boehme anstelle von Bäcker Laible Abraham Regensburger aus Ichenhausen. Im Notarvertrag sind neben dem Grundstück in der Teller-Gasse einige kleinere landwirtschaftlich genutzte Flächen angeführt.
Karolina Kleber heiratete im Juni 1903 den Bäcker Adam Riederle, die beiden hatten auf dem kleinen Anwesen 7 Kinder. 1927 geriet Karolina Riederle in eine schwierige Lage, als ihr deutlich älterer Mann verstarb und noch 3 unmündige Kinder im Haus waren. Der Älteste Engelbert, der Bäcker gelernt hatte, hielt den Betrieb aufrecht. Ca. 1929 brachte dann ein Unglücksfall Karolina Riederle in eine verzweifelte finanzielle Lage, sodass ihr ein ähnliches Schicksal wie dem Vorgänger Laible drohte. Auf dem Stadtplan von 1825 ist an die Teller-Gasse 370 das Haus Nr. 369 angebaut. Dieses gehörte damals dem Gärtner Philipp Kastner. Das Haus stand nach 1900 wohl länger leer und verfiel zusehends. Ca. 1929 stürzte es dann ein und riss die hintere Giebelfront der Bäckerei der Witwe Riederle mit. Diese hatte weder Reserven für die teure Reparatur, noch die Möglichkeit, bei ihrer Vermögenslage Geld von einer Bank zu bekommen und war damit finanziell am Ende. In dieser verzweifelten Lage kam eine, in heutigen Tagen eigentlich undenkbare, ganz unverhoffte Rettung. Carl Künkele, der Besitzer der Schapfen-Mühle an der Blau in der Ulmer Altstadt, kam schon viele Jahre als Vertreter für den Mehleinkauf ins Haus. Herr Künkele besah sich die aussichtslose Lage, überschlug die Reparaturkosten und teilte Frau Riederle mit, dass er diese zu fairen Zinsen übernehmen würde und sie sich mit der Rückzahlung die notwendige Zeit lassen kann. So wurde die Familie durch die Großzügigkeit dieses Wohltäters finanziell gerettet.
Der Bruder der Witwe Riederle war der Pfarrhof-Bäck Anton Kleber, der mit einer Nebenerwerbslandwirtschaft 1926 das Haus 214 (heute Hausnr. 42, Stadtstraße) besaß. Es handelt sich um das ca. 1865/70 erbaute Haus mit dem schönen, mit Heiligendarstellungen und Evangelistenfiguren geschmückten Giebel, das heute etwas heruntergekommen ist (später Metzgerei Hoser, dann Romantika). Die Lage am Ausgang der Stadtstraße hatte natürlich mit dem Pfarrhof nichts zu tun. Der Name Pfarrhof-Bäck rührte noch im Jahr 1926 daher, dass der Vorfahre von Anton Kleber, Kaspar Kleber, wegen der Erweiterung des Kirchenneubaus nach Westen ca. 1788 sein damals dort gelegenes Haus mit Bäckerei zum Abriss an die Stadt verkaufte.
Der Platz war in dem Haus in der Stadtstraße mit mehreren Kindern und einigen Kühen im Anbau zu beschränkt, um landwirtschaftliche Geräte oder Heuvorräte unterzubringen. Der „Pfarrhof-Done“ hatte deshalb einen relativ großen Stadel, der in der Gruppe von mehreren Gebäuden in Verlängerung der Stadtstraße stand, am Ende des relativ steilen Abfalls von der Hohe-Wühlgasse und des Bereichs „In der Höhle“ (Plan von 1825), später „Eberlesberg“ genannt. Im Jahr 1926 kam es nach einer schon längeren nassen und kühlen Periode in der ersten Juniwoche zu langen Dauerregen von selten gesehener Heftigkeit mit einem „Jahrhunderthochwasser“ in unserer Region (wie 2024). Dr. Thomas Schieche hat dies in „Burgau aktuell“ Nr. 72 (Okt. 2016) ausführlich beschrieben. Das Wasser stand im Mindeltal fast 1 Meter hoch. Da damals die Mindelkorrektion erst begonnen hatte und so bei Hochwasser wesentlich größere Retentionsflächen zur Verfügung standen, dürfte die Wassermenge größer als 2024 gewesen sein. Die Überschwemmungsschäden waren trotzdem deutlich geringer als 2024, da die Talbereiche kaum bebaut waren. Der Schaden war allerdings durch die verschlammten Felder und Wiesen für die Landwirtschaft massiv, wie den Berichten im „Burgauer Anzeiger“ und dem „Schwäbischen Volksblatt“ zu entnehmen ist. Einer der am übelsten Betroffenen war allerdings Anton Kleber, der in der Stadtstraße hoch über jedem Überschwemmungsbereich lag, durch ein Ausnahmeereignis. Am 4. Juni 1926 ging über Burgau ein Platzregen von wohl noch nie gekannter Heftigkeit nieder. Über den kurzen Abfall von der Hohe Wühl-Gasse und von der HohenGasse entwickelte sich im damals unbefestigten Bereich zum „Eberlesberg“ herunter eine mit Erde und Schlamm durchsetzte Flut, die den dort in Verlängerung der Stadtstraße stehenden Stadel von Anton Kleber zum Einsturz brachte. Die Beseitigung von Erdreich und Schlamm sowie der Wiederaufbau des Stadels kosteten 668,85 Reichsmark, die für Anton Kleber, der noch 6 unmündige Kinder zu versorgen hatte, kaum finanzierbar waren. Der Burgauer Stadtrat befürwortete seinen Antrag an den Fond der bayerischen Staatsregierung für Hochwasserschäden. Ein nicht rückzahlbarer Zuschuss des Staates von 250 Reichsmark half ihm dann aus der gröbsten finanziellen Not.
Die Beispiele zeigen, wie beschränkt die finanziellen Reserven der Familien auch bei alteingesessenen Kleinbetrieben waren, wobei die hohen Kinderzahlen sicher mit eine Rolle spielten. Unvorhersehbare Unglücksfälle oder sonstige Belastungen konnten die Familien schnell an den Rand der wirtschaftlichen Existenz bringen.
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[1] siehe zu obigem „Geschichte und Geschichten“ in „Burgau aktuell“ vom Januar 2025
[2] Johann Riederle, Joseph Jostan, Das Bäckerhandwerk in Alt-Burgau, in: Historisches Burgau ( Hg. Historischer Verein Burgau Stadt und Lande. V., Burgau 2014, S. 63—67.
[3] Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818—1888) und der Reichstagsabgeordnete Franz Hermann Schulze-Delitzsch (1808—1883) gelten als die Väter der Kreditgenossenschaften bzw. Genossenschaftsbanken.
[4] Diese im Deutschen erstmals im 14. Jahrhundert auftauchende Bezeichnung kommt wahrscheinlich vom altromanischen Begriff für Versteigerung wie encante (altsp.), enquand (altfr.), auch canting caller für Auktionator im älteren Englisch (Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 4 ,1878).
[5] Die 1452 urkundlich erstmals genannte Schapfen-Mühle ist das älteste, bis heute durchgehend produzierende Ulmer Unternehmen (inzwischen mit großem modernen Neubau nach Ulm-Jungingen verlegt). Beim früheren Mühlrad in der Ulmer Altstadt lief das Wasser von oben nicht auf die Holzenden sondern in daran befestigte Behälter („Schapfen“).
[6] siehe wie Anmerkung 2, Johann Riederle, Joseph Jostan…, S.59f.
[7] Dr. Thomas Schieche, Burgau aktuell Nr. 72, Oktober 2016.
Abbildung: Haus der ehemaligen „Pfarrhof-Bäckerei“ in der Stadtstraße mit schönem Giebel, Ph. Jedelhauser.
Dr. Philipp Jedelhauser Historischer Verein Burgau Stadt und Land e. V.,
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