Nachdem im Januar das Jubiläumsjahr "1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland" eröffnet wurde, ist es naheliegend auch das jüdische Leben in der Markgrafschaft Burgau, aber explizit in Burgau selbst zu beleuchten. Grundlage unseres Beitrags ist der Vortrag von unserem Vereinsmitglied Rudolf Saumweber, der über das "Jüdische Leben in Burgau und in anderen Orten der Region", anlässlich unserer Jahreshauptversammlung 2008 berichtete. Bei der Eröffnungsrede zum Jubiläumsjahr "321 bis 2021 jüdisches Leben in Deutschland", erwähnte der Lehrstuhlinhaber für Jüdische Geschichte an  der LMU München, Herr Prof. Dr. Michael Brenner, auch im Besonderen die Bedeutung der Markgrafschaft Burgau innerhalb der Geschichte des Judentums in Bayern.
Für mich war es spannend, dass seit 1700 Jahren jüdisches Leben in Deutschland nachgewiesen werden kann. Aufgrund des Dekrets Kaiser Konstantins aus dem Jahre 321 n.Ch., das die Berufung von Juden in  Ämter der Stadtverwaltung in Köln und in die Kurie erlaubte, ist der Zeitpunkt genau zu überblicken ab welchem Jüdinnen und Juden im Gebiet des späteren Deutschlands lebten. Der heutige bayerische Regierungsbezirk Schwaben gehörte neben Franken, dem Elsass und dem Mittelrheingebiet zu den zentralen Siedlungslandschaften des Judentums im Reich während des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit.

Jüdische Gemeinden in der Markgrafschaft waren:
Burgau (vor 1348 bis ca. Ende des 30-jährigen Krieges), Neuburg/Kammel (1431 bis 1675), Günzburg (1434 bis 1618), Binswangen (1439 bis nach 1805), Hürben/Stadtteil von Krumbach (1504 bis nach 1805), Thannhausen (1510 bis 1717), Ichenhausen (1541 bis nach 1805), Buttenwiesen (1561 bis nach 1805), Pfersee (1569 bis nach 1805), Fischach (1750 bis nach 1805), Scheppach (bis zur Austreibung 1617 existierte ein jüdische Kultusgemeinde) und Haldenwang (im Mittelalter gab es hier eine jüdische Gemeinde mit Synagoge bis zur Austreibung 1617).

Auf der rechten unteren Bildseite ist der Jüdische Friedhof (goldfarben) auf der Burgauer Landtafel von Andreas Rauch, gefertigt 1613, gut zu erkennen

Wir wollen aber nun das Leben von Menschen mit jüdischem Glauben im Besonderen in unserer Stadt und Region anschauen.
Es kann aus den mir zur Verfügung stehenden Quellen nicht explizit rekonstruiert werden, ab wann sich Juden in Burgau ansiedelten. So wird ganz allgemein berichtet, dass es sehr früh in der Markgrafschaft Burgau Juden gab. Wie es in urkundlichen Berichten aber sehr wohl heißt, fielen um das Jahr 1298 auch im Burgauischen Juden der Volkswut zum Opfer. Das geschah noch unter dem Markgrafen Heinrich III. von Berg.
Verursacht durch die schlimmen Judenverfolgungen des Hochmittelalters stellten die deutschen Könige bereits Anfang des 12. Jhd. die Juden unter ihren unmittelbaren Schutz (Regalien). Damit waren als Angehörige der königlichen Kammer ihre Eigentums- und Freiheitsrechte gewährleistet. Als Gegenleistung mussten sie natürlich Abgaben an die königliche Kammer entrichten.

Bereits in den Jahren 1348/49 wurden, wie andernorts auch, die Burgauische Judengemeinde unter dem Vorwand ausgerottet, sie trügen die Schuld am Ausbrechen der Pest. Dieses furchtbare Leiden wurde noch durch grausame Judenpogrome verschlimmert (Pogrom ist aus dem russischen Sprachgebrauch und heißt Verwüstung, Judenverfolgung, Ausschreitungen gegen nationale, religiöse und rassische Gruppen).
Die mittelalterlichen Menschen fühlten einen Drang, für eigenes Leiden Schuldige außerhalb ihrer Gemeinschaft zu suchen. Die Juden mussten immer wieder spüren, dass sie eine andersgläubige Minderheit waren, die zwar aus wirtschaftlichen Gründen geduldet wurde und auch königlichen Schutz besaß, aber dennoch oft für Missgeschicke, die die Christen befielen, verantwortlich gemacht wurden. Einigen wenigen presste die Folter ein Geständnis ab, sie hätten Brunnen vergiftet und sofort wurden alle ihre Glaubensgenossen schuldig gesprochen.
Nach der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus Augsburg im Jahre 1438 siedelten sich dann wiederum eine große Zahl von ihnen in Burgauischen Orten an, wie auch in Burgau selbst. Weiterer Zuwachs kam dann1499 aus Ulm, wo sie auch vertrieben wurden.

Bis 1634/35 bestand dann wieder in Burgau eine aus christlicher Sicht betrachtet relativ große jüdische Gemeinde, die aber in den Pestjahren 1634/35 ausstarb. Ende des 16. Jahrhunderts lebten in Burgau 20 Juden mit Hausbesitz und 12 ohne. Burgau war anscheinend ein Zentrum für die Kinder Israels, denn in der Polizeiordnung von 1587 gab es eigene Bestimmungen, wie sich die jüdische Bevölkerung in Burgau zu verhalten habe. Zum Beispiel durften sich die Juden während der Kreuzgänge an Christi Himmelfahrt und an Fronleichnam und während der Gottesdienste an Sonn- und Feiertagen nicht auf der Straße zeigen.
Es gab laut dieser Polizeiordnung von 1597 aber noch weiter gehende Vorschriften. Sie wurde, erlassen von Kaiser Rudolf II. (1576-1612), der unter großem Einfluss seiner Berater diese Verordnung verfasste, weil er selber die Jesuiten förderte und eine große Vorliebe für Astronomie und Astrologie hatte und damit kein Freund der Juden war,.
So durften Juden und Christen nicht unter einem Dach leben, es durfte kein Christ bei einem Juden einkehren, Juden mit eigenem Haushalt durften nicht mehr als zwei Stück Vieh besitzen, die ohne eigenen Haushalt nur eins. Ferner war klar  niedergeschreiben, dass die jüdischen Bürger Burgaus nur 14 Pferde zusammen haben konnten. Die Liste der  Verfügungen und Verbote regelte aber auch den Kauf von Lebensmitteln, die Geldgeschäfte, die Weiderechte und noch vieles mehr.  

Obwohl Markgraf Karl von Burgau mit Mandat vom 4. März 1617 die jüdische Bevölkerung angewiesen hatte, binnen Jahresfrist ihre Häuser und Güter zu verkaufen und die Herrschaft zu verlassen, nahm sie es nur zur Kenntnis, richtete sich aber nicht danach. Vielmehr fuhr man fort, das gewohnte Leben zu führen und die Schule zu besuchen. 1631 beschwerten sich die jüdischen Bürger Burgaus beim Generalvikar Zeiller in Augsburg, gegen den Stadtprediger Caspar Baur von Burgau, dass er die Juden verfolge, "... ja er geht bisweilen in die Judenschuel oder Bethaus und hebt an zu schreyn und treibt allerlei Fablerey, wie er dann vor drei Wochen einen Juden von Steppach, so mit anderen Juden in die Schuel gehen wollten, mit einem Stecken geschlagen, hernach an einem Inwohner allda gar den Stecken abgeschlagen, an dem er sich nit ersättigen lassen."
            
Trotz der vielfältigen und willkürlich anmutenden Einschränkungen scheint die Burgauer Judengemeinde besonders rege gewesen zu sein und sich im Rahmen der Möglichkeiten entfaltet zu haben. Zeugnis dafür ist die Schule und die vorhanden gewesene Synagoge, in Deutschland auch Schuel oder Tempel genannt. Wo sich die Synagoge befand, darüber schweigen die Quellen. Der Hafner Michael Neuner erwarb im Jahre 1660 die "öde Hofstatt", nämlich die ehemalige Judenschule, für 40 Gulden und gab dem Rate einen Dukaten Leihkauf.
Hier sei noch eine sehr interessante, aktenkundlich nachgewiesene Begebenheit geschildert. 1668 brachte der Jude Hertzog von Pfersee bei Landamman und Rat vor, dass sein Großvater die Schule vor dem ersten Kriege auf sein "aigen Costen zur Ehr Gottes und ihme zu Nutz und Heil habe pauen lassen, bitte, man werde ihn darumb nit leer künde abweisen". Man konnte. Hertzog wurde bis nach Weihnachten vertröstet, die Sache verlief im Sande.

Nach dem Aussterben der jüdischen Bevölkerung im 30-jährigen Krieg wurde der in Burgau vorhandene jüdische Friedhof noch einige Zeit von den Juden anderer Gemeinden wie Binswangen, Buttenwiesen, Fischach und Hürben benutzt.

 
Synagoge in Binswangen

Zuvor  war es für die Juden in der Markgrafschaft Burgau und von Hürben Pflicht den beschwerlichen Weg für die Bestattung ihrer Toten bis nach Burgau in Kauf zu nehmen. Das Oberamt in Burgau verlangte im Voraus 4 Gulden "Totfallgeld". Wenn dies nicht entrichtet wurde, drohte die Behörde damit "... ein todter Cörper durch den Wasenmeister auf den Schindtanger gebracht und eingegraben".
Es gibt eine relativ unbekannte Notiz zu diesem jüdischen Friedhof, es sollen nämlich bis 1725 noch 2 Grabsteine auf diesem ehemaligen Friedhofsareal vorhanden gewesen sein.
Die Lage des Friedhofs war in der Nähe des Galgenberges, heute gegenüber der Walter-Ludwig-Straße. Als Erinnerung an die jüdische Gemeinde besteht noch der Flurname "Am Judenbegräbnis" exakt im Bereich des früheren jüdischen Friedhofes.


Grabstein auf dem Jüdischen Friedhof in Ichenhausen

Nicht nur das Begräbnis von auswärtigen  Juden in Burgau war bare Münze für die Markgrafenstadt, sondern auch das sogenannte "Jägergeld", das jüdische Bewohner Burgaus seit 1587, als spezielles Schutzgeld der Juden entrichten mussten. Es betrug vier Gulden pro Jahr und Familie. Dieses "Judengeld" wurde erst mit Wirkung des bayerischen Judenedikts zum 1. Oktober 1813 abgeschafft. Um das Maß aber voll zu machen, bezahlten die jüdische Bevölkerung in der Stadt selbst auch noch das sogenannte "Sitzgeld", das als Aufenthaltssteuer deklariert war. Es betrug 12 fl (Gulden).

In Burgau selbst lebten auch nach 1648 bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges immer wieder Menschen mit jüdischem Glauben. Aber es gab keine organisierte homogene jüdische Glaubensgruppe mehr.

In einem weiteren Beitrag werde ich im Rahmen des Jubiläumsjahres "1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland" noch über die jüdische Bevölkerung im Umkreis von Burgau berichten und natürlich auch über das KZ-Außenlager Burgau, in dem in den letzten Monaten vor Ende des Zweiten Weltkrieges jüdische Frauen interniert waren.

                                   


Quellen:
Rudolf Saumweber Vortrag "Jüdisches Leben in Burgau und in anderen Orten der Region", "Historisches Lexikon Bayerns", Sabine Ullmann, Archiv der Stadt Burgau, "Burgau" von Alexander Schulz      
Archiv des Hist. Vereins Burgau Stadt und Land e.V.
Bilder:  Archiv Hist. Verein Burgau Stadt und Land e.V.
      
 
                                    Irmgard Gruber-Egle
                                    Historischer Verein
                                    Burgau Stadt und Land e. V.
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