Die Polizeiordnung der Stadt Burgau vom 7. Oktober 1597 im Hinblick auf die Habsburger Herrschaft und lokale Gegebenheiten

Der Begriff „Policey“ hatte in der frühen Neuzeit nur wenig mit der heutigen Polizei als Vollzugsorgan für die innere Sicherheit zu tun. „Policey“ bedeutete gute Ordnung und Regelung des öffentlichen Zusammenlebens mit teils weit in das Privatleben eingreifenden Reglementierungen betreffend Religion, Feierlichkeiten, Vergnügungen, Bekleidung, Umgang mit Auswärtigen, Bettlern etc. Weiter ging es um Vorschriften für Berufsgruppen wie Metzger, Bäcker, Brauer, um Maße und Gewichte, Umgang im Geschäftsleben, Regelungen für die Juden usw. Bevor ab Anfang des 17. Jahrhunderts nach dem Ausbau des Günzburger Schlosses (1577—1580) alle wichtigen Verwaltungsämter sukzessive nach Günzburg verlegt wurden, hatte Burgau 1597 noch zentrale Bedeutung. 

 
Burgau 1555 im Ehrenspiegel des Hauses Österreich

Mit lediglich ca. 1600 bis 1700 Einwohnern, einem Flechtwerkzaun statt einer Stadtmauer (siehe die Abbildung aus 1555) und damals ohne eigene Pfarrei, war es als Stadt gegenüber Günzburg zurückgefallen. Die Habsburgische Leitung der Verwaltung war mit der Hofkanzlei in Innsbruck bis Mitte des 18 Jahrhunderts weit weg. In die Polizeiordnung im Vorderösterreichischen Burgau flossen Interessen des habsburgischen Landesherrn zu den lokalen Problemen mit ein:  Die Vorderösterreichische Herrschaft war mit 12 Richtern katholischer Religion vertreten, welche am St. Georgen-Tag (23. April) den Amtsbürgermeister wählten. Die Bürgerschaft wählte an diesem Tag einen Gemeinde-Bürgermeister, dann wird ein Bürgerrat mit 12 Köpfen gebildet. Zusammen mit den Richtern bilden sie einen 24-köpfigen Rat, der zusammenkommen muss, wenn er auf Anordnung der Herrschaft oder des Amtsbürgermeisters vom Gerichtsbüttel einberufen wird, um anstehende Probleme zu beratschlagen. Dieser Rat wählt den Stadtschreiber, der katholischer Religion sein muss und wie die Bürgermeister und Räte auf sein Amt vereidigt wird. Diese Wahl- und Ernennungsmodi zeigen, dass trotz gewisser Zugeständnisse an die Bürgerschaft die Herrschaft weiter das Heft in der Hand hält. Trotz feierlicher Vereidigung berichtet der Chronist über Amtsmissbrauch und Unregelmäßigkeiten. 1737 ereifert sich der Wirt der Ochsenbrauerei über den Stadtschreiber: „Er hat der allhiesigen bürgerschaft viele 100 Gulden abgestohlen. Hängen auch besser am Galgen. Überdies hat der Stadtschreiber meine ledige schwester Maria Anna notzwingen wollen“. Der Schwalbenwirt Johann Georg Lindenmayr schimpfte im gleichen Jahr über den Amtsbürgermeister: „Der bürgermeister ist einmal ganz arm gewesen und jetzt besitzt er drei häuser. Der reichtum kommt von der Stadt, der es der bürgermeister abgestohlen.“ Auch im Rat selbst ging es gelegentlich recht rustikal zu, wie das Protokoll von 1737 zum Rundumschlag von Joseph Stuhlmüller vom Weißen Ross notiert: „Der Stadtschreiber ist ein schelm und dieb. Dieser, wie auch der pfarrer von Knöringen und der hiesige Stadtpfarrer nebst den Bürgermeister Walter, seien nicht wert, dass sie der Teufel hole, und wenn er sie (doch) nur holen täte.“  
1597 war die Gegenreformation der Habsburger in vollem Gange, so war die Förderung der katholischen Kirche ein wichtiges Anliegen: alle sollen an Sonn -und Feiertagen den Gottesdienst mit Messe und Predigt ordentlich und fleißig besuchen. Wer zu dieser Zeit auf den Gassen spaziert, in Wirts- oder Bierhäusern oder anderen Leichtfertigkeiten gesehen wird, unterliegt Geldstrafen. Das Essen von Fleisch in der Fastenzeit und an anderen verbotenen Tagen wird mit einem Gulden bestraft, und sofern solches vorsätzlich, unter Verachtung des Heiligen Kirchengebots geschieht, wird gegen dieselben mit schärferer Strafe vorgegangen. Das Gotteslästern wird gänzlich verboten und würde nach landesfürstlichem Gesetz unnachgiebig bestraft. 
Bei Läuten des „Türggenzeichens“, wie es täglich um 12.00 geschieht, sollen Junge und Alte, Männer und Frauen, Knechte und Mägde auf die Knie fallen und den allmächtigen Gott um Sieg und Triumph wider den Erbfeind andächtig und emsig bitten. Wer dies nicht tut soll eine Strafe von 10 1/2 Haller zahlen. Diese Regel mutet heute fast skurril an. Seit der Belagerung von Wien in 1529 waren die Osmanen mit ihren Kriegszügen im Bereich des Balkans zum Schrecken der Habsburger geworden. Es handelte sich dabei um von religiösem Fanatismus geprägte grausame Kriege. Ein Stimmungsbild gibt die „Kriegserklärung“ des Sultans Muhamed IV. an Kaiser Leopold I. und König Johann III. Sobiesky von Polen vor dem Aufbruch zur zweiten Belagerung Wiens 1683: „[…] Vor allem befehlen wir dir, in deiner Residenzstadt Wien uns zu erwarten, damit wir dich dort köpfen können, und tue auch Du, kleines Königlein von Polen dergleich! samt allen deinen Anhängern werden wir dich vertilgen und Gottes allerletztes Geschöpf, soweit es nur ein Ungläubiger ist, von der Erde verschwinden lassen. Groß und klein werden wir zunächst der allergrausamsten Marter aussetzen und dann dem schändlichsten Tod überantworten [...]“.  Vor diesem Hintergrund gewinnt man etwas Verständnis für das mittägliche Läutezeichen. 
Obwohl in der Stadt um diese Zeit lediglich 32 Juden, davon 20 mit Hausbesitz (und ihre Familien?) lebten, war Burgau mit Synagoge, Schule und Judenfriedhof in der Markgrafschaft ein Zentrum für die Söhne Israels. Die Polizeiordnung bestätigte zunächst die Rechtslage gegenüber den Juden, wie sie Erzherzog Ferdinand II. (der zu den Juden milde war) 1587 festgelegt hatte, gefolgt von umfangreichen Verordnungen: Juden sollten sich während des Gottesdienstes an Sonn- und Feiertagen, während der Kreuzgänge an Christi Himmelfahrt und Fronleichnam, in der Karwoche und beim Ave-Läuten nicht auf der Straße sehen lassen; sie sollten nicht mit Christen unter einem Dach leben, dürfen bei Hausbesitz maximal 2 Stück Vieh haben, sonst nur eines und alle zusammen nicht mehr als 14 Pferde besitzen. Weiter folgen Verordnungen zu Lebensmittelkauf, zu Geldgeschäften, Weiderechten usw. Ihre Ausweisung durch Markgraf Karl im März 1617 ignorierte die Burgauer Judenschaft, nach der Pestepidemie 1634/35 waren aber keine jüdischen Bewohner mehr in Burgau. Synagoge und Judenschule verfielen und ihr damaliger Standort in Burgau ist unbekannt.  Der jüdische Familienname Burgauer erfuhr allerdings bis in unser Jahrhundert eine weltweite Verbreitung. Über Ichenhausen gelangte er ca. 1772/73 nach Hohenems in Vorarlberg, wo Benjamin Burgauer das noch heute stehende „Burgauer Haus“ erbaute. Nach 8 Generationen hatte Benjamin weltweit ca. 500 Nachkommen, von denen bei einem großen Familientag 2008 sich Hunderte von Burgauern in Hohenems trafen.  
Die beiden Jahrmärkte, 8 Tage nach Ostern und am St. Michaelstag (29. September), wurden durch die Polizeiordnung mit Zoll- und Standgeldfreiheit kräftig gefördert. Nachdem mit gnädigster Bewilligung ein Kornhandel zu Burgau aufgerichtet wurde, galt bei 1 Gulden Strafe folgendes: alle Bürger sollen die Jahr- und Wochenmärkte fleißig besuchen. Getreide und sonstiges Korn darf nur zu diesem Kornhandel und hiesigen Märkten geführt und verkauft werden. Nur wenn es hier zu üblichen Preisen zum dritten Mal nicht verkauft wird, darf es an anderen Orten und Märkten angeboten werden. 
Das traurige Kapitel von Armen und Obdachlosen wurde ebenfalls geregelt: „leichtfertige, argwonische, verdechtige leüth, müssiggenger, starckhe (arbeitsfähige) petler, zegeüner, gartkhnecht vnd dergleichen herrnloses Gesündel“ soll zu Burgau weder unterhalten noch geduldet, bei Ankunft darauf hingewiesen und nur im Notfall über eine Nacht beherbergt werden. Vom Armenhaus am Spitalberg (gebaut 1655) fuhr dann der Bettelvogt die Unerwünschten mit seinem Karren bis Röfingen oder Anhausen, wenn diese nicht gehen wollten oder konnten – seine Rechnung wurde von der Stadt beglichen.  
Ob diese Polizeiordnung in der Markgrafenstadt bei den bekannt lockeren Zügeln der Habsburger in ihrem Bereich auch konsequent durchgesetzt wurde ist fraglich. Ca. 110 Jahre früher war die Markgrafschaft Burgau ja an Bayern verpfändet worden (1486). Deren strikte Verwaltung und Abgaben waren für die Bürger der Markgrafschaft ein Graus. Die Insassen selbst sammelten einen Gulden von jeder Feuerstätte, um durch Pfandauslösung wieder unter die Fittiche des betulicheren und hinsichtlich Verordnungsdurchsetzung toleranteren Habsburger Doppeladlers zurückzukehren.

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[i] Wolfgang Wüst, Burgau: habsburgische Stadtinteressen in Vorderösterreich, Zur Polizeiordnung der Stadt Burgau von1597, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben, 90. Band (1997), S. 43—83.
[ii] Wolfgang Wüst, wie oben, S. 45
[iii] Fritz-Reck Mallaczewen, Der grobe Brief von Martin Luther bis Ludwig Thoma, Kapitel 10, Berlin 1940.
[iv] Alexander Schulz, Burgau, Bild einer schwäbischen Stadt, Weißenhorn 1983, S. 29—31.
[v] Weis Stefan, „Seiner Heimat gänzlich unbekannt..“. Geschichte und Migrationsbewegungen der jüdischen Familie Burgauer von der Mitte des 18. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Diplomarbeit an der philosophisch-historischen Fakultät der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck (2013).
[vi] Alexander Schulz, wie oben, S.56f.

Abbildung: Älteste Ansicht Burgaus aus dem Ehrenspiegel des Hauses Habsburg 1555, Bayer. Staatsbibliothek München, Cgm 896, fol. 138v. (bis 1597 dürfte sich hier wenig geändert haben).

Dr. Philipp Jedelhauser, Historischer Verein Burgau Stadt und Land e. V., Bilder und Text urheberrechtlich geschützt, kopieren und vervielfältigen nur mit Genehmigung des Urhebers