Nach dem Übergang der Vorderösterreichischen Markgrafschaft Burgau an Bayern am 1. Januar 1806 wurde von der Stadt Burgau nach exakter Vermessung (1824) 1825 eine genaue Karte angelegt. Alle Häuser/Gebäude waren mit Nummern von 1-407 versehen und 1826/27 zu allen Hausnummern die dortigen Haushaltsvorstände bzw. Einzelpersonen mit Berufen genannt.  

Es fällt auf, dass von 116 genannten Frauen (wohl alleinstehend) lediglich 3 mit den Berufsbezeichnungen Schneiderin, Posthalterin und Hebamme genannt werden. Die anderen sind überwiegend mit ihrem Familienstand „Wittib“ (51) und ledig (14) angeführt, oder ohne Zusatz. Ehefrauen stehen bei den Männern nicht dabei, obwohl nach dem Verzeichnis nahezu in jedem Haus eine Familie war. Die Einwohnerzahl ist in den Unterlagen nicht genannt. Nachdem Johann Nepomuck von Raiser diese 1833/34 mit 2132 angibt, (bei 408 Häusern) dürfte diese lediglich 8 Jahre früher bei 2100 gelegen sein.  Bei abzüglich Kirche/Kapellen 404 Häusern war jedes 1825/26 von durchschnittlich 5,2 Personen bewohnt. 
Es erscheinen eine Reihe von schon lange ausgestorbenen Handwerksberufen: Zinngießer, Kleimacher, Leimsieder, Seifensieder, Säckler, Kannenmacher, Nagelschmied, Gürtler, Hostienbäcker und Kammmacher. Der Beruf Fischer (Haus 275) lässt vermuten, dass die Mindel und umliegenden Gewässer damals noch recht belebt waren. Im Haus Nr. 268 in der Schloss-Gasse (heute Norbert-Schuster-Str. 2) hatte 1823 der Wachsmacher Joseph Baader seinen Handwerksbetrieb gegründet. Am gleichen Platz hat heute nach über 200 Jahren in der 6. Generation Edgar Bader seine Wachszieherei, wohl die längste Familientradition eines Betriebes in Burgau. Es fällt auf, dass in einer Kleinstadt, in der damals an jeder Straße Kühe, Schweine, Hühner etc. zu sehen waren, bei keinem Haus die Berufsbezeichnung Ökonom, Bauer oder Landwirt genannt ist. Die Landwirtschaft gehörte für den Eigenbedarf und eventuell einen geringen Nebenerwerb für viele einfach dazu. Für eine Landwirtschaft als Haupterwerbszweig waren die Wiesen und Ackerflächen der Anwesen meist zu klein. Die häufig kinderreichen Familien wurden mit dieser Kombination von Kleinhandwerk, Heimarbeit und weitgehender Deckung des Lebensmittel-Eigenbedarfs aus der Landwirtschaft finanziell über Wasser gehalten. Reich wurden damit nur wenige, Hunger war außerhalb von Kriegszeiten oder Wetteranomalien aber selten. Teile dieser Wirtschaftsform hielten sich in Burgau bis in die 50 er Jahre nach dem 2. Weltkrieg. In der Tellerstrasse gab es 1950 einen Schmied, einen Wagner, eine Geflügel- und Eierhandlung, einen Bäcker und einen Schäffler, alle mit Kleinlandwirtschaft von ca. 3-6 Kühen, die spätestens in den 60er Jahren aufgegeben wurde.
Das Verzeichnis von 1826/27 zeigt, dass einer der wichtigsten Handwerks- und Heimarbeits- Erwerbszweige in Burgau im Niedergang war. Während 1763 noch 59 Webermeister und 10 Gesellen mit Leinwandherstellung (aus dem damaligen Flachsanbau) beschäftigt waren sind 1826 noch lediglich 17 Weber angeführt. Die Baumwolle hatte den Produkten aus dem Flachsanbau den Rang abgelaufen. Während in nahen Städten wie Ulm und Augsburg frühzeitig Baumwollhandel und Herstellung in Fabriken begann, ging diese Entwicklung an der (bis 1805 bestehenden) Markgrafschaft Burgau vorbei.  In Burgau eröffnete die erste „Fabrik“ mit der Bandweberei Philipp Kastner& Sohn erst 1834.
Die Liste vermeldet in der Stadt nicht weniger als 10 Brauereien (mit Gastronomie) und 2 weitere Wirtschaften. Diese Zahl war vor allem der Lage Burgaus an einer europäischen Hauptmagistrale geschuldet, der Verbindung Wien-Paris, auf der viele Postwagen, Reisekutschen, Stafettenreiter etc. verkehrten. Mit Eröffnung der durchgehenden Bahnlinie Augsburg-Ulm im Mai 1854 gab es hier einen massiven Einbruch; die zwei mit größten und traditionsreichsten Gaststätten, der „Goldene Adler“ (später Mädchenschule) und der „Schwarze Ochse“ am Kirchplatz schlossen bald darauf und wurden 1856 von der Stadt aufgekauft (siehe Burgau aktuell, Nr. 128 vom Juni 2021).
Auch die Zahl mancher Handwerksbetriebe für lediglich ca. 2100 Einwohner verwundert. Trotz der Hausschlachtungen zum Eigenbedarf gab es nicht weniger als 8 Metzger (Häuser Nr. 30, 35, 55, 68, 177, 228, 245, 270). Mit Bäckereien verdienten gar 12 der meist kinderreichen Familien ihren Lebensunterhalt. Diese Kleinhandwerker sind mit heutigen Betrieben nicht vergleichbar und konnten ohne Nebenerwerbslandwirtschaft kaum überleben. Bei unvorhersehbaren Unglücken/Belastungen war die wirtschaftliche Existenz schnell gefährdet, wie im nächsten „Burgau aktuell“ berichtet wird. Ein beliebtes Handwerk war die Schusterei, die in 17 Häusern betrieben wurde. In der Liste sind 18 berufslose Männer als Tagwerker/Taglöhner verzeichnet. Bei fast allen ist eine Familie mit angeführt und es fällt auf, dass in dieser Gruppe zehn nicht verheiratet mit einer Frau angegeben sind. In diesen Familien, wo sich die Männer für Gelegenheits- und Lohnarbeiten verdingten, dürfte es finanziell mit am engsten zugegangen sein. Im damaligen Spital (Haus 69) waren 6 Personen untergebracht.
Die ca. 2100 Einwohner waren mit drei Geistlichen, im Vergleich zu heute, bestens versorgt: Pfarrer Gerstmaier im ehemaligen Pfarrhof in der Stadtstraße (Haus 233) wurde von Benefiziat Grimminger und einem Stadtkaplan, der am Schmiedberg wohnte (Haus 45), unterstützt. 1752 waren das habsburgische Landrichteramt und der Bezirksjurisdiktionsvogt von Burgau nach Günzburg verlegt worden. Nachdem Burgau 1806 an Bayern gefallen war, erhielt es ein Landgericht als Justizbehörde (entspricht späterem Amtsgericht). Im Haus 8 wohnte der „quiescierte“ Landrichter im Ruhestand Seyfried, daneben (Haus 9) Landrichter Kettler. Weiter erscheinen in diversen Häusern noch der königliche Landgerichtsassessor von Reisch, zwei Landgerichtsscribenten (Schreiber), ein Landgerichtsdiener und im Haus 283 der Landgerichtsphysikus Dr. Schneemann. Dieser studierte Mediziner übte eine Funktion ähnlich den Aufgaben eines Gesundheitsamtes aus. Er hatte die Oberaufsicht über die in Burgau tätigen Chirurgen (Häuser Nr. 108,139,158), die Bader, sofern vorhanden, die Apotheker, die Hebamme (Frau Gantmann, Nr. 266) und den Tierarzt Riedmüller (Nr. 388). Er wurde tätig bei Seuchenausbrüchen und musste Berichte aus seinem Landgerichtsbereich abliefern. Die undankbarste Aufgabe eines bayerischen Landgerichtsphysikus war damals sicher die Durchführung der Pockenimpfung, die Bayern als erstes Land 1807 als Pflichtimpfung eingeführt hatte. Die Bewegung gegen die Coronaschutzimpfung scheint weniger rigoros gegen das, was sich zur Einführung der Pflichtimpfung gegen Pocken in Bayern und vor allem später im Reich abspielte. Nach zwei katastrophalen Pockenepidemien mit 180000 Toten (1870 und 1873) trat zum 1. April 1875 Otto von Bismarcks Reichsimpfgesetz in Kraft. Der Umgang, zumindest mit der Meinung der Impfgegner, war im Bismarckreich relativ tolerant: Zum Höhepunkt im Reich hatten sich Ende des 19. Jahrhunderts über 300.000 Bürger in Anti-Impfvereinen organisiert, in Sachsen erschien ein von Naturheilkundlern und Anthroposophen redigiertes Monatsblatt „Der Impfgegner“, noch 1919 stellte ein „Reichsverband zur Bekämpfung der Impfung“ in der Nationalversammlung einen Antrag zu deren Abschaffung.  Man stelle sich das Echo in Presse und Politik vor, wenn sich 2021/22 Corona-Impfgegner als Vereine organisiert und Anträge fürs Vereinsregister gestellt oder gar Verbände gegründet hätten! Trotzdem wurden die Bayerische Impfverordnung von 26. August 1807und Bismarcks späteres Reichsimpfgesetz schließlich rigoros durchgesetzt. Ein bayrischer Landgerichtsphysikus hatte ab September1807 die Regierung hinter sich mit drakonischen Zwangsmaßnahmen: Eltern, die 3-jährige Kinder nicht impfen ließen, zahlten empfindliche Geldstrafen, die sich bei 4-jährigen Kindern um 50 % erhöhten. Kam es wegen einem ungeimpften Kind zu einem Pockenausbruch, musste der Vater neben der Geldstrafe mehrere Tage ins Gefängnis, ab 1811 wurden Ungeimpfte vom Schulbesuch ausgeschlossen.  In Dörfern und Landstädten wie in Burgau dürfte es weniger Probleme gegeben haben, als im Großstadtbereich. Der durchschlagende Erfolg der Impfung gab der Obrigkeit schließlich recht. 

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[1] Plan: Burgau im Jahre 1825 (Nachdruck Bayer. Landesvermessungsamt 1983); Hausnummernverzeichnis 1826/27, Stadtarchiv Burgau.
[2] Raiser, Johann Nepomuck F. A. von: Die Wappen der Städte und Märkte, dann der marktberechtigten Orte im Oberdonau-Kreis des Königreichs Bayern mit den Orts- und Distrikts-Geschichten derselben…., 1833/34, S. 83 : 408 Häuser, 546 Familien, 2132 Bewohner (freundliche Auskunft durch Frau Martina Wenni – Auinger/Burgau).
[3] Anke Sczesny, Eine europäische Textilregion im Wandel, in: Schwäbisch -Österreich, (Hg.) Rolf Kießling, Augsburg 2007, S. 64—67.
[4] Stefanie Grossmann, Impfpflicht damals und heute (Chronologie der Impfpflicht im NDR, über Google abrufbar)
[5] Veröffentlicht als Verordnung: Königlich-Baierisches Regierungsblatt, München 1807.

Abbildung: Der unter Anmerkung 1 genannte Stadtplan von Burgau von 1825.

 

Dr. Philipp Jedelhauser, Historischer Verein Burgau Stadt und Land e. V.