Wallenstein als Page am Burgauer Hof – Sage und Überlieferung

Burgauer Sage im Wortlaut:

„Als ein Kind von zwei Jahren wurde der später so berühmt gewordene Wallenstein, der Schrecken der Deutschen und Schweden, von seiner Mutter auf das markgräfliche Schloss nach Burgau gebracht. Einst spielte das Kind an einem Fenster des zweiten Stockes, als es plötzlich das Gleichgewicht verlor und in die furchtbare Tiefe hinabstürzte. Aber unbeschädigt – wie von Engeln getragen – glitt es auf den Boden nieder. Wallenstein hat dies in späteren Jahren als Grund angegeben, wegen dessen er katholisch geworden sei, in dem er erklärt, er schreibe dies dem Schutze der unbefleckten Jungfrau Maria zu, die ihn damals besser schützte, als sein eigener totverachtender Blick vor den mordenden Partisanen der buttler`schen Dragoner am 24. Februar 1634." 

Im Burgauer Heimatkundeunterricht in den 50er Jahren gab es auch die Version, dass Wallenstein in einen Wäschekorb im Burgauer Schlosshof gefallen sei.

Albrecht Wallenstein (1583-1634)
(Bild nach Wikimedia gemeinfrei)

Die obige, 1849 niedergeschriebene Sage, dürfte auf Friedrich Schillers populäres Drama „Wallenstein“ zurückgehen, das 1799 in Weimar uraufgeführt wurde. Zweimal ist vom Hof von Burgau die Rede, an dem Wallenstein zusammen mit dem älteren Edelknaben Gordon, dem späteren Obristen und Kommandanten von Eger, Page gewesen sein soll. Wallenstein sei ca. 20 Jahre alt gewesen. Als Wallenstein im zweiten Stock des Schlosses an einem Fensterbogen einschlief sei er in die Tiefe gestürzt und unbeschädigt wieder aufgestanden. Dieses Wunder habe sein Wesen verändert und letztlich seinen Übertritt zum katholischen Glauben bewirkt.

Siegfried Harrer hat in seinem schönen Beitrag zum 10-jährigen Jubiläum des Historischen Vereins Burgau die Literatur untersucht, die Schiller für sein Drama verwertet haben dürfte.

Nur bei Schiller ist lediglich vom Hof zu Burgau die Rede. In den Biografien Wallensteins handelt es sich um den Hof des Markgrafen Karl von Burgau, der vor seinem Umzug in die Markgrafschaft nach Günzburg (1610) im Schloss Ambras bei Innsbruck war.

Letztlich stellt sich die Frage zum Ursprung der Geschichte, dass Wallenstein Page/Edelknabe am Hof des Markgrafen von Burgau gewesen sein soll. Bei Durchschau der ältesten Schriften finden sich die entsprechenden Textpassagen in den beiden überhaupt ersten, noch im 30-jährigen Krieg erschienenen, Lebensbeschreibungen Wallensteins (*1583-†1634).

Die früheste Erwähnung steht im ersten Band der „Annales Ferdinandei“ von Franz Christoph von Khevenhüller, der 1640 in Regensburg gedruckt wurde. Khevenhüller (*1588-†1650) war ein Zeitgenosse Wallensteins und hatte als Diplomat und Chronist am Hof des Habsburger Kaisers Ferdinand II.(*1578-†1637) entsprechenden Zugang zu Unterlagen. Die Originalpassage in der Kurzbiographie Wallensteins im ersten Band der Jahrbücher zu Kaiser Ferdinand II. lautet:

„Albrecht Herr von Wallenstain, ein nach- und tieffsinniger, nimmer ruhender, Freygebiger, anschlägiger, großmüthiger Herr, doch harter und raucher Condition, ist Marggrafen Carl von Burgaw Edel-Knab gewesen, alsdann sich in Ungarn ins Kriegswesen begeben...“ 

Die Geschichte vom Fenstersturz in den Schlosshof erscheint erstmals 1643 in der ausführlicheren Wallensteinbiographie des italienischen Grafen Galeazzo Gualdo Priorato (*1606 -†1678). Dieser diente im 30-jährigen Krieg als Offizier zeitweise auch in Wallensteins Heer. Der Abenteurer und Söldner betätigte sich dann im späteren Leben als Historiker. Der Titel des in Italienisch geschriebenen Werkes lautet: HISTORIA DELLA VITA D`ALBERTO VALSTEIN DVCA DI FRITLAND.

Der Originaltext von 1643 lautet (auf Textseite 14 des Bandes ohne Seitenzählung):

„Vscito dalle scuole, fù consignato Paggio del Marchese di Borgao figlio dell` Arciduca Ferdinando d`Inspruch; doue vn giorno dormendo sopra vna finestra altissima da terra, e caduto giù illeso; dà tal accidente confuso, di Protestante nato, risolfe farsi Cattolico.”

Übersetzung: 
„Nach Verlassen der Schule kam er an den Hof des Markgrafen von Burgau, Sohn des Erzherzogs Ferdinand, zu Innsbruck. Eines Tages schlief er an einem Fenster hoch über dem Boden ein und fiel hinunter, ohne sich zu verletzen. Durch diesen Unfall erschüttert, beschloss der geborene Protestant, katholisch zu werden.“

Ob Priorato die Geschichte vom Fenstersturz hinzugedichtet hat, oder ob er diese im Heer Wallensteins als Anekdote zu dessen Wechsel zum katholischen Glauben hörte, ist unklar.

Die von späteren Autoren teils als oberflächlich kritisierte Lebensbeschreibung Wallensteins von G. G. Priorato fand ab 1668 dann größere Verbreitung, als sie Josua Arnd in Rostock in lateinischer Übersetzung drucken ließ. 

In den meisten späteren Wallensteinbiografien erscheint diese Version. Im „Nachdruck“ von Khevenhüllers Werk von 1722 ist die Biografie Wallensteins von dritter Seite erweitert und mit der Fenstersturzgeschichte von G.G. Priorato am Hof von Markgraf Karl von Burgau in Innsbruck ergänzt (dort S. 219-224).

Ein beweisender Beleg zum Aufenthalt Wallensteins bei Markgraf Karl von Burgau fehlt bis heute. Auch bei einer nochmaligen Nachschau durch Frau Mag. Krajicek in einschlägigen Unterlagen des Tiroler Landesarchivs (Innsbruck) fand sich keine eindeutige Quelle. In der Analyse des Briefwechsels von Wallenstein mit dem Tiroler Landesherrn Erzherzog Leopold V. (1626–1632) durch Georg Wagner wird ein früherer Aufenthalt Wallensteins in Innsbruck nicht erwähnt. Der österreichische Historiker Dr. Robert Rebitsch, der 2010 die neueste Wallensteinbiografie schrieb, fand für diese Passage ebenfalls keinen Beleg. Es handelt sich also um eine erzählende Tradition, allerdings aus zeitgenössischer Quelle.

Schloss Ambras bei Innsbruck
Wikimedia Commons,
Foto:
Burkhard Mücke, ohne Änderung

Überblick zur tatsächlichen frühen Biografie Wallensteins, die am ausführlichsten und zuverlässigsten in Golo Manns berühmtem Werk von 1971 dargestellt ist.

Albrecht Wenzel Eusebius von Waldstein wurde als böhmischer (tschechischer) Adeliger am 24. September 1583 in Hermanitz an der Elbe geboren. Mit elf Jahren war er bereits Vollwaise unter der Vormundschaft des Schwagers seiner Mutter, Heinrich von Slavata zu Koschumberg. Sein Vormund zog ihn im Glauben der „Böhmischen Brüdergemeinde“ auf, die eine Mischung aus hussitischen und lutherischen Traditionen pflegte. Der deutsche Name kommt von der Stammburg Waldstein (nahe Turnau) des Hauses. Nach diversen Abwandlungen führte Albrecht schließlich den Namen Wallenstein. Nach der Lateinschule in Goldberg/Schlesien kam Wallenstein im August 1599 zum Studium an die Akademie in Altdorf (bei Nürnberg). Er vervollständigte dort seine Deutschkenntnisse und führte ein turbulentes Studentenleben. Sein Brief aus dem Karzer-Arrest an den Magistrat der „löblichen Reichsstadt Nürnberg“ vom 20. Januar 1600 spricht Bände: der Studiosus bittet seinen Rauswurf aus der Akademie wegen diverser Gewalttaten zurückzunehmen, um unter anderem den Ruf der Familie von Waldstein nicht zu beschädigen und ihm selbst den Abschied zu überlassen.  Im März/April 1600 verließ er schließlich Altdorf. Er ging danach bis 1602 auf Bildungsreise (Grand Tour) nach Frankreich(?) und Italien.  1603 war er dann nach Golo Mann als Edelknabe am Hof des Markgrafen von Burgau, im Sommer 1604 zog er bereits in den Türkenkrieg. Markgraf Karl von Burgau (1560–1618) war der Sohn des Tiroler Erzherzogs Ferdinand II. und der Bürgerlichen Philippine Welser. Als nur eingeschränkt Erbberechtigter wegen der bürgerlichen Mutter wurde er mit der Markgrafschaft Burgau und einigen weiteren kleineren Besitzungen ausgestattet. Karl lebte 1603, zur Zeit Wallensteins als Page, weder in Burgau noch in Günzburg, sondern auf Schloss Ambras bei Innsbruck. Obwohl Markgraf Karl von Burgau bereits den Titel führte, wurde er erst 1609 rechtskräftig mit der Markgrafschaft belehnt und zog dann 1610 in seine Residenz nach Günzburg um.4Wallenstein ist also nie in Burgau gewesen. Nach Golo Mann ist der Aufenthalt Wallensteins bei Markgraf Karl in Ambras durchaus glaubhaft, obwohl dazu lediglich eine erzählende Tradition vorliegt (S. 76f.). Die Geschichte vom Sturz aus dem zweiten Stock des Schlosses ohne Verletzung mit der Wandlung zum Katholizismus weist Golo Mann in die legendenhafte Fantasie. Zum katholischen Glauben ist Wallenstein nach Golo Mann erst ca. 1606 konvertiert. Der zweite Page Gordon als Freund Wallensteins am Hof von Burgau in Schillers Werk ist reine Dichtung, abseits der Realität. Der nichtadelige Schotte John Gordon entstammte einem calvinistischen Clan. Wallenstein wurde später als Heerführer eine der berühmtesten Persönlichkeiten im 30-jährigen Krieg. Als Generalissimus des katholischen Kaisers kämpfte er gegen die protestantischen Verbündeten und war im November 1632 in der Schlacht bei Lützen dabei, als der schwedische König Gustav Adolf fiel. Als Herzog von Friedland und Sagan stieg Wallenstein in den Fürstenstand auf. Die Macht und das große Heer Wallensteins wurden anderen Fürsten auf katholischer Seite zunehmend suspekt. 1634 fiel Wallenstein durch politische Eigenmächtigkeiten beim Hof in Wien in Ungnade. Am 25. Februar 1634 wurde er schließlich in Eger von kaisertreuen Offizieren ermordet.

Obwohl Wallenstein nie in Burgau war, ist die hiesige Wallensteinstraße doch eine schöne Reminiszenz an die heimische Sage und Schillers Drama.

Dr. Philipp Jedelhauser
Historischer Verein Burgau Stadt und Land e. V.
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